Mustafa: Über Diversität in Afghanistan und die Wichtigkeit von Sprache

Kompetenz Interview Mustafa

Lieber Mustafa, in Afghanistan geboren und aufgewachsen, hast du unumstritten einen spannenden Werdegang vorzuweisen. Dieser lässt vermuten, dass du bereits bedeutungsvolle Erfahrungen zum Thema Vielfalt, sowohl in Afghanistan als auch in Deutschland, machen konntest. Wie hast du die kulturelle Vielfalt in Afghanistan wahrgenommen?

Im Vorfeld sollte man wissen, dass Afghanistan ein Vielvölkerstaat mit zahlreichen Ethnien ist. Die primären ethnischen Gruppen der afghanischen Bevölkerung sind Paschtunen, Tadschikinnen, Hazara und Usbekinnen. Darüber hinaus leben weitere kleinere ethnische Gruppen in Afghanistan. Fast jede Volksgruppe spricht ihre eigene Sprache. Jedoch sind Farsi-Dari sowie Paschtu die offiziellen Sprachen und werden von der Mehrheit gesprochen. Dari ist sehr stark mit Farsi (Persisch) verwandt und kann als Dialekt dieser Sprache angesehen werden, etwa wie das österreichische Standarddeutsch zum Hochdeutsch. Während Farsi-Dari in Nord-, West- und Zentralafghanistan gesprochen wird, ist Paschtu im Süden und Osten Afghanistans weit verbreitet. Farsi-Dari ist auch die Verkehrssprache zwischen den Volksgruppen und Amts- sowie Bildungssprache in Schulen und Universitäten.

In Bezug auf die Wertschätzung der ethnischen Vielfalt sehe ich in Afghanistan noch Potenzial. Nicht alle Bevölkerungsgruppen haben aus meiner Sicht die gleichen Chancen und die ethnischen Gruppen bleiben meist unter sich – Sprache spielt dabei eine große Rolle. Ich würde mir wünschen, dass das Potenzial für einen positiven Umgang mit der ethnischen Bevölkerungsstruktur stärker genutzt wird. Als positive Beispiele fallen mir Kanada, Belgien oder die Schweiz ein.

Mein Wunsch wäre die Entwicklung eines stärkeren Gemeinschaftsgefühls, im Sinne einer nationalen Identität.

Du bist im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen. Was hat zu dieser Entscheidung geführt?

Die Entscheidung nach Deutschland zu kommen und somit meine Heimat zu verlassen war keine leichte. Man könnte sagen, dass es eine der schwersten Entscheidungen war, die ich bisher treffen musste. Ich habe in Afghanistan insgesamt zehn Jahre für den deutschen Staat gearbeitet. Zunächst bei der Bundeswehr und anschließend in der deutschen Botschaft in Kabul, jeweils als Dolmetscher und Übersetzer. Allerdings gefiel die Wahl meines Arbeitgebers leider nicht allen Menschen in Afghanistan. Ich erhielt Drohungen, die ich im Rahmen eines von Deutschland angebotenen Aufnahmeprogrammes als Nachweis für eine Einwanderung vorlegen musste. Die Plätze waren begrenzt und ich musste belegen, dass meine Eltern und ich uns in einer bedrohlichen Lage befinden. So konnten wir 2015 nach Deutschland reisen. Meine Schwester und meine Brüder waren bereits im Ausland. Trotz dessen bin ich der Auffassung, dass jede Flucht auch ein Gewinn ist, da man die Möglichkeit erhält, andere Kulturen kennenzulernen.

Du hast tiefe Einblicke in die deutsche und in die afghanische Kultur erhalten. Was kann Deutschland aus deiner Sicht von Afghanistan lernen?

Die Menschen in Afghanistan sind sehr offen und locker. Sie sind in zwischenmenschlichen Beziehungen viel offener als die Menschen in Deutschland. Man kann mit jedem bzw. jeder lockere Gespräche führen, egal ob an Bushaltestellen, Flughäfen oder Bäckereien. Sie sind allerdings auch deutlich indiskreter. Ich bin zudem darüber verwundert, dass ich in dem Haus, in dem ich wohne, etwa zwei Nachbarn kenne bzw. mit ihnen ins Gespräch kam, obwohl ich bereits seit sechs Jahren dort wohne. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland mehr mit sich selbst beschäftigt und deshalb eher verschlossen sind.

Ich würde außerdem behaupten, dass es in Deutschland und Afghanistan unterschiedliche Definitionen und Einstellungen zum Thema „Freundschaft“ gibt. Während ich bis heute noch den Kontakt mit meinen Freunden aus der Schulzeit in Kabul halte, fällt es mir sehr schwer die Freundschaften mit den Kommilitonen aus der Hochschule hier in Berlin halten zu können.

Du hast nach deiner Einreise nach Deutschland ein IT-Studium begonnen, anschließend zunächst als Praktikant und im Jahr 2020 dann als Trainee den Weg ins ITDZ Berlin gefunden. Wie hast du das Thema Vielfalt im ITDZ Berlin bisher erlebt?

Mein Wunsch war es, ein IT-Studium zu beginnen. Die Möglichkeit, meine bisherigen Erfahrungen im Verwaltungsbereich mit einzubringen, gefiel mir sehr. So habe ich das Studium „Verwaltungsinformatik“ an der HWR Berlin absolviert. Während einer Hochschulveranstaltung habe ich das ITDZ Berlin kennengelernt und mich direkt für ein Praktikum und anschließend für das Traineeprogramm beworben.

Pandemiebedingt konnte ich bisher leider nicht allzu viele Kolleginnen und Kollegen kennenlernen. Trotzdem fühle ich mich insgesamt sehr wohl und schätze den freundlichen Umgang untereinander. Vor allem ist für mich der gleichwertige Umgang mit Männern und Frauen deutlich spürbar. Jede und jede ist gleichgestellt.

Während des Onboardings konnte ich zudem einen Einblick in unser Service Center erhalten. Mir sind dabei sofort die barrierefreien Arbeitsplätze aufgefallen. Ich finde es toll, dass man diese Möglichkeiten für schwerbehinderte Menschen schafft.

Was würdest du dir im Umgang mit Vielfalt im ITDZ Berlin noch wünschen?

Ich habe Afghanistan seit 2015 nicht mehr besucht. Neben meinen Freunden und Bekannten, von denen ich mich aufgrund der relativ spontanen Abreise nicht mehr verabschieden konnte, vermisse ich insbesondere das leckere Essen und das Brot. Ich würde mich freuen, wenn sich das Bistro im ITDZ – sobald die Öffnung wieder möglich ist – sich ebenfalls anderen Küchen widmet und Gerichte aus verschiedenen Kulturen anbietet, wie zum Beispiel im Rahmen des Diversity-Tages 2019.

Zusammenfassend fühle ich mich angenommen. Afghanistan wird immer mein Zuhause sein, allerdings ist Deutschland meine neue Heimat und das ITDZ Berlin auf eine gewisse Weise meine neue Familie.

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Frankreich, Kamerun und Deutschland haben wir mit unserer Kollegin Eugenie gesprochen.