Gemeinsam im Homeoffice - Interview mit einer Gesundheitsexpertin

Im Interview mit der Gesundheitsexpertin Theresa Gorzalka, die das ITDZ Berlin unterstützt, gingen wir u.a. folgenden Fragen nach: Wie kann man mit Frustration umgehen? Wie beugt man Überlastung vor und was sind die ungeahnten Chancen der neuen Homeoffice-Situation?

Sozialberatung, Theresa Gorzalka
Tipps und Tricks einer Gesundheitsexpertin

Als verantwortungsbewusster Arbeitgeber offeriert das ITDZ Berlin die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten, hat Masken für die Mitarbeitenden besorgt und bietet psychologische Unterstützung durch eine Sozialberatung an.
Wir haben ein interessantes Interview mit Theresa Gorzalka von der Sozialberatung Procedo geführt, die die Mitarbeitenden des ITDZ Berlin im Rahmen des Betrieblichen GesundheitsManagements unterstützt.

Über eine längere Zeit im Homeoffice zu arbeiten stellt uns alle vor einige Herausforderungen. Konkret: Mein PC friert mehrmals am Tag ein, ich bin frustriert… und das kleine Pläuschchen in der Teeküche fehlt auch. Was kann man bei Frustration im Homeoffice tun?

Diese Herausforderungen kennen wir alle, glaube ich, nur zu gut. Die Frustration, die dabei entsteht, ist in erster Linie ein emotionaler Zustand, der immer dann auftritt, wenn eine Situation nicht wie erhofft verläuft. Dabei liegt die Ursache fast aller Probleme, die Frust hervorrufen, in den eigenen Erwartungen. Nicht selten steht das Gefühl der Frustration in Zusammenhang mit anderen negativen Emotionen, wie Trauer, Enttäuschung, Ärger oder Wut.

Welcher Gefühlsmix entsteht, ist individuell und situationsspezifisch. Hilfreich ist dabei zu erkennen, dass wir in einer komplexen Welt leben und wir über eine Vielzahl an Faktoren im Alltag keine Kontrolle haben. Das geht von der Technik bis hin zu der Tatsache, dass wir uns den Alltag bis vor kurzem anders vorgestellt hatten und uns nun stattdessen als Alleinkämpfer*innen im Homeoffice wiederfinden. Wenn wir nun gegen das Gefühl der Frustration kämpfen, dann wird dieses stärker und verursacht Stress. Sinnvoller wäre es, anzuerkennen, dass es in diesem Moment nicht so läuft wie geplant. Die Akzeptanz der eigenen Gefühle erlaubt uns, besser zu beobachten, die Angelegenheit aus einer anderen Perspektive einzuschätzen und Alternativen zu überlegen. Den Prozess kann man durch langsames und mehrfach tiefes Atmen beschleunigen. Insgesamt ist es vollkommen in Ordnung auch mal frustriert zu sein.

Wichtig ist, dass man seinen Tag so gut es geht strukturiert. Sich einen Arbeitsplan zu erstellen, der auch Pausenzeiten enthält. Dabei sollte man Dinge, die Spaß machen, am Anfang des Tages erledigen.

Und um den Tag aufzulockern und sich zu motivieren, kann ein telefonisches Pläuschchen mit der Kollegin oder dem Kollegen zwar den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, sorgt aber dafür, dass dieser Aspekt im Alltag nicht vollkommen verloren geht. Wenn es das häusliche Umfeld zulässt, ist es empfehlenswert, den Arbeitsplatz vom sonstige Umfeld zu separieren oder zumindest, dass alles, was mit der Arbeit zu tun hat, in der Freizeit bzw. zum Feierabend beiseite zu räumen.

Feste Rituale beispielsweise am Ende des Arbeitstages können helfen, besser abzuschalten, so z. B. das bewusste Herunterfahren und Schließen des Rechners oder sich mental zu vergegenwärtigen, dass nach dem arbeitsreichen Tag nun die Freizeitphase folgt.

Sich am Ende des Arbeitstages in einem sogenannten „Glückstagebuch“ drei positive Ereignisse (der Sonnenstrahl am Morgen, die wundervolle Blüte einer Blume, ein Lächeln einer Kolleg*in oder auch der gute Witz einer geschätzten Kolleg*in) des Tages zu notieren, trägt zu einer Fokussierung auf das Positive bei.

Eine Belastung im Homeoffice kann das zeitlich versetzte Arbeiten sein. Viele wollen ihre Kollegen bei Fragen auch nach oder vor ihrer Arbeitszeit nicht im Stich lassen und sind dadurch gefühlt 12 Stunden auf Abruf. Was empfehlen Sie in so einer Situation? Wie kann man einer Überlastung vorbeugen?

Ja, die ständige Erreichbarkeit kann zu Stress führen, wenn Job und Freizeit am Ende durchmischt werden. Offenbar verschwimmen die Grenzen zwischen den Lebensbereichen bei dieser Arbeitsweise besonders leicht, dass hatte auch die Hans-Böckler-Stiftung in einer Studie zu Arbeitszeitmodellen herausgefunden. Es hatte sich gezeigt, dass Beschäftigte, die im Homeoffice tätig sind, abends oft nicht abschalten können. Die Wahrscheinlichkeit liegt sogar bei 45 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Beschäftigten, die nie zu Hause arbeiten. Auf der anderen Seite zeigt die Forschung auch, dass sich die Arbeitszufriedenheit erhöht, wenn Zeiten und Ort selbstbestimmt gewählt werden können. Dieses selbstorganisierte Arbeiten muss allerdings bewusst gestaltet werden. Hierbei ist es wichtig, klare Regelungen zwischen den Kolleg*innen zu treffen und zusätzlich die Erwartungshaltung der Vorgesetzten abzuklären.

Darüber hinaus spielt auch die eigene Erwartungshaltung eine große Rolle. Hohe Ansprüche und ein übertriebener Perfektionismus führen dann am Ende dazu, dass ein Abgrenzen schwerfällt. Manchmal tauchen auch Schuldgefühle und Angst vor Ablehnung auf. So ist oftmals der Gedanke vorhanden, dass die Beziehung zu den Kolleg*innen gestört wird, wenn entsprechende Anfragen abgelehnt werden. Dazu noch das schlechte Gewissen, denn in der Regel lernen wir bereits als Kind, dass wir Hilfe nicht verweigern dürfen, wenn wir sie leisten können.

Wird diese Hilfe einmal nicht erbracht, dann entsteht möglicherweise der Gedanke, als herzlos und egoistisch eingestuft zu werden. Sollten diese Gedanken auftauchen, dann machen Sie sich klar, dass Sie ihren Kollg*innen viel besser helfen können, wenn Sie zu Ihren Pausen kommen. Nein zu sagen und Grenzen zu setzen, führt nämlich zu innerer Stabilität, die sich langfristig positiv auf die Beziehung zu anderen Menschen auswirkt.

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Während des Lockdowns haben manche Menschen gefühlt mehr Zeit und widmen sich jetzt ihren Hobbies, lernen ein neues Instrument oder eine Sprache. Sie scheinen die Zeit bestmöglich zu nutzen. Das klappt nicht bei jedem, da manche nach der Arbeit im Homeoffice einfach müde sind – oder die Kinder noch betreut werden müssen. Haben Sie Tipps, wie man dieser Die-anderen-schaffen-noch-viel-mehr-als-ich-Falle entgehen kann?

Bei den beschriebenen Aktivitäten handelt es sich häufig um Bewältigungsstrategien, die dazu dienen, die aktuelle Situation bestmöglich zu überstehen und nicht in völlige Resignation zu verfallen. Diese Strategien können tatsächlich wertvoll sein und zur Gesundheit beitragen, wenn wir dadurch die Zeit für uns sinnvoll gestalten. Und das ist der springende Punkt. Denn was für den einen als sinnvoll erscheint, dass kann für den anderen etwas völlig anderes bedeuten. Schwierig wird es, wenn wir uns in einer Spirale des Vergleichens befinden. Der Psychologe Leon Festinger hat in seiner „Theorie der sozialen Vergleiche“ herausgefunden, dass Vergleiche in zwei Richtungen gehen, nämlich entweder aufwärts oder abwärts. Wenn wir uns aufwärts vergleichen, dann vergleichen wir uns mit Personen, die uns überlegener erscheinen, die also vermeintlich stärker, schöner oder talentierter sind. Wenn wir dann über einen geminderten Selbstwert verfügen, ist ein solcher Vergleich häufig demotivierend und daher wenig förderlich. Wie wir dieser Falle entgehen können, hängt davon ab, was für ein Bild wir von der Realität haben.

Durch die Sozialen Medien haben wir oft den Eindruck, dass andere Menschen ein viel schöneres und besseres Leben führen und schalten dabei die banalen und „normalen” Bereiche der beneideten Person aus. Dabei übersehen wir vielleicht, dass diese über ganz anderen Ressourcen verfügt oder anders mit Stress umgeht. Letztendlich ist ein kompletter und objektiver Vergleich mit unserem Umfeld schlichtweg unmöglich. Die Rahmenbedingungen und Ressourcen sind für jeden ganz individuell. Als Tipp ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass wir diese Gedanken des Vergleichens haben und diese ganz normal sind und dann herauszufinden, was die Gründe für das Vergleichen sind.

Warum vergleiche ich mich mit diesen Personen? Identifiziere ich vielleicht einen unerfüllten Wunsch oder Bedürfnis? Worauf wir also am Ende den Fokus legen sollten, ist unsere eigene persönliche Situation, in der vielleicht aktuell andere Prioritäten wichtig sind, als beim Kollegen oder dem Nachbarn. Wir können somit die Zeit im Homeoffice auch mit der entsprechenden Haltung als eine Zeit der Befreiung von Alltagszwängen erleben.

Wo sehen Sie versteckte Herausforderungen oder Probleme beim längeren Arbeiten im Homeoffice?

Inzwischen gibt es viele Studien über die Arbeit im Homeoffice. In einer Metaanalyse von Gajendran und Harrison (2007) zeigt sich, dass die Beziehung zu den Kolleg*innen gefährdet ist und auch Vereinsamung sowie Depressionen drohen, wenn so häufig von zu Hause aus gearbeitet wird. Daher empfiehlt es sich, regelmäßig mit den Kolleg*innen in Kontakt zu treten. Das Homeoffice unterstützt grundsätzlich dabei, Familie und Arbeit zu vereinbaren, doch über mehrere Wochen hinweg, ist es für viele Beschäftige sehr schwierig, über längere Zeit produktiv zu sein.

Des Weiteren sehen Expert*innen Probleme darin, dass sich Beschäftigte grundsätzlich zu wenig bewegen, zu viel sitzen und sich ungesund ernähren. Mehrere Studien (z.B. DGPM) deuteten darauf hin, dass eine ständige Erreichbarkeit mit einem höheren Stress- und Burn-out-Risiko und mit gesundheitlichen Beschwerden verbunden sei.

Stuzubis

Natürlich hat das Arbeiten im Homeoffice auch Vorteile, z.B. werden Prozesse hinterfragt und optimiert oder es werden neue Kommunikationswege eingeführt. Wo sehen Sie ungeahnte Chancen bei der Arbeit im Homeoffice?

Eine neue Studie des Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation zeigt, dass die Krise einen nachhaltigen Effekt auf die vor der Krise noch weitverbreitete Präsenzkultur in der Arbeitswelt in Deutschland haben wird. Es ist jedenfalls gut möglich, dass flexiblere Formen der Arbeit wie Homeoffice nach der Krise mehr Bedeutung haben werden, als dies vor der Krise der Fall war.

Termine können deutlich besser koordiniert werden, der Krach aus dem Großraumbüro entfällt ebenfalls und wenn die Möglichkeit besteht, sich dem Biorhythmus anzupassen, kann dieses Arbeiten sogar die Gesundheit fördern. Bei bestehenden Konflikten kann die erzwungene räumliche Distanz sogar zu einer leichten Deeskalation führen.

Das Arbeiten im Homeoffice führt zur Vereinfachung von bisher umständlichen Prozessen, z. B. müssen bestimmte Dokumente nicht mehr ausgedruckt unterschrieben und wieder eingescannt werden, sondern eine digitale Unterschrift reicht aus. Das sind nur einige wenige Beispiele, die sicherlich gut in die bevorstehenden Zeiten der Lockerung übernommen werden können.

Wir danken Theresa Gorzalka für das Interview!